Seit Tagen sind alle voller Vorfreude und von früh bis spät beschäftigt. Eine Hochzeit steht an. Nicht nur Familie und Freunde sind eingeladen, sondern – wie üblich - das ganze Viertel. Drei Tage soll die Feier dauern. Die Straße, in der die Familie des Bräutigams wohnt, ist geschmückt, Tische und Sitzgelegenheiten aufgestellt sowie eine Bühne für DJ und Musiker vorbereitet.
Ein großes Freudenfest soll die Hochzeit sein
Auch Hussein – ein 15jähriger Freund der Familien – ist bei den Arbeiten dabei und sehr aufgeregt. „Ich will von Anfang bis Ende alles sehen und mithelfen“, betont er. Der erste Tag des Festes verläuft so, wie alle es sich gewünscht hatten. Es wird gelacht, gegessen, gesungen und getanzt. Braut und Bräutigam fiebern bereits dem letzten Tag der Feier entgegen. Wird doch dann endlich ihr Bund besiegelt, damit sie Mann und Frau sind.
Auch am nächsten Tag treffen sich alle wieder gutgelaunt. Die Männer hatten das Fleisch bereits vorbereitet, das heute auf den Tellern landen soll. Danach waren die Frau an der Reihe. Zusammen mit viel Gemüse und Gewürzen schmort das Rindfleisch nun bereits seit vielen Stunden in einem großen Kessel auf offenem Feuer.
Alle erdenklichen Köstlichkeiten erwarten die Gäste
Mit Reis, Salat, Tahini und vielen anderen Köstlichkeiten soll jetzt alles auf den Tischen verteilt werden. Die Helfer sind fleißig und arbeiten schnell. Bald stehen alle Beilagen bereit und es fehlt nur noch das wichtigste auf dem Tisch. An dem niedrigen gußeisernen Topf auf offenem Feuer stehen zwei Frauen, die mit schweren Schöpfkellen das Gericht in große Schüsseln füllen. Geschwister und Freunde der Brautleute laufen hin und her, um das geschmorte Fleisch heiß auf die Tafeln zu bringen. Es herrscht reges Treiben um den großen Kessel. Die Frauen ermuntern die Helfer: „Beeilt euch! Die Gäste warten schon auf das Fleisch.“ Hussein war schon ein paar Mal mit einer Schüssel zu den Tischen geeilt. Er lacht und scherzt mit seinen Freunden und ist sehr glücklich. Immer wieder sagt er: „Endlich bin ich alt genug, dass ich überall mitarbeiten darf. Es macht mir so viel Spaß und probieren durfte ich das Essen auch schon als einer der Ersten. Es schmeckt sehr gut!“
Und auf einmal ist alles vorbei
Ein Freund steht hinter ihm. Hussein dreht sich zu ihm um, will ihm noch etwas erzählen und kehrt dabei dem großen Fleischkessel den Rücken zu. Keiner weiß hinterher, wie es geschah, aber Hussein stolpert plötzlich, taumelt rückwärts und fällt in den Topf mit dem siedend heißen Schmorgericht.
Seine Schmerzensschreie gellen über die Straße und vermischen sich mit den entsetzten Hilferufen der Umstehenden. Ein paar Männer sind geistesgegenwärtig sofort zur Stelle und kippen mit vereinten Kräften den Kessel um.
Hussein aber ist inzwischen verstummt. Keine Laute dringen mehr aus seinem Mund. Bewusstlosigkeit hat den Schleier über ihn gesenkt, um die Schmerzen auszublenden. Das Geschrei ringsum ist ohrenbetäubend, Menschen drängen heran, aber die Helfer schaffen es trotzdem ihn auf einen Pick-up zu legen und ins nur wenige hundert Meter entfernte Hospital zu bringen.
Die Ärzte kämpfen verzweifelt - und verlieren
An der Klinik warten bereits Ärzte am Eingang, um Hussein sofort versorgen zu können. Was sie sehen müssen, übertrifft jedoch selbst ihre Vorstgellungskraft. Verbrennungen zweiten bis vierten Grades haben 80 Prozent seines Körpers zerstört. Da das örtliche Krankenhaus nicht für die Behandlung dieser schlimmen Verletzungen ausgestattet ist, können die Ärzte ihm nur starke Schmerzmittel verabreichen, um ihn ins künstliche Koma zu versetzen und ihn sofort in eine andere Klinik zu verlegen.
Familie und Freunde begleiten den Transport, warten im oder vor dem Krankenhaus, um Hussein nah zu sein und ihm Kraft zu geben. Die Ärzte tun ihr Bestes, kämpfen um Husseins Leben, um schließlich doch zu verlieren. Hussein erlangt noch einmal kurz das Bewusstsein und stirbt schließlich am Abend des dritten Tages in den Armen seiner Mutter.
Mehr als 20 000 Menschen erweisen Hussein die letzte Ehre
Noch in der gleichen Nacht machen sich tausende Menschen aus seiner Heimatstadt auf den Weg, um Hussein die letzte Ehre zu erweisen. Das schreckliche Ereignis hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet.
Der Konvoi, der den Leichenwagen begleitet, reicht von der 60 km entfernten Klinik bis in Husseins Stadtteil. Dort warten bereits weitere unzählige Menschen auf dem Friedhof. Geschätzt finden sich insgesamt mehr als 20 000 Menschen ein, um der Familie auf dem letzten Gang beizustehen.
Aus einem fröhlichen Fest wurde in einer Sekunde eine unfassbare Tragödie, die schmerzhaft bewusst macht, wie eng Freud und Leid zusammenliegen und wie vergänglich alles ist.